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söndag, 9. november 2014
25 jahre mauerfall

Meine Oma ist im Sommer 1989 gestorben - und wie immer, wenn ich das Wort "Mauerfall" höre, frage ich mich, wieso sie den nicht mehr hatte erleben dürfen.

Aber vielleicht sollte ich ein wenig ausholen. Meine Oma kam ursprünglich aus Ostpreußen, wurde vertrieben, überlebte die Flucht und den Krieg und siedelte im Harz an. (Nicht nur sie, ihre verbliebenen Brüder und Onkel ebenfalls.) Dort bauten sie und mein Opa eine Gärtnerei auf, bekamen zwei Töchter und eigentlich wäre dann endlich alles gut gewesen, wenn denn nicht durch Bodenreform und Kollektivierung der Verlust sämtlichen Eigentums gedroht hätte. Da meine Großeltern wussten, dass mein Opa über kurz oder lang wegen regimekritischer Aussagen im Knast landen würde, weil er seine Klappe nicht halten konnte/wollte, (und vermutlich aus noch ein paar weiteren Gründen) entschieden sie, aus der DDR zu fliehen, als immer offensichtlicher wurde, dass es wirklich eine Mauer geben würde. Sie flohen getrennt, mein Opa auf anderem Wege als meine Oma, Mutter und Tante. Die drei fuhren nach Berlin, "um eine Tante zu besuchen", und meine Mutter erinnert sich daran, dass sie vieleviele Klamotten übereindander anziehen und das ihr allerwichtigste mitnehmen sollte. Kleinstes Gepäck, um nicht aufzufallen. Und dann stiegen die drei Friedrichstraße aus der S-Bahn, wo alle DDR-Bürger aus den Bahnen gefiltert wurden, drucksten in der Nähe der Türen herum und als das Signal zur Abfahrt kam, sprangen sie schnell wieder hinein - und waren im Westen. Auffanglager Marienfelde, irgendwer musste in Quarantäne (Tuberkulose) und irgendwie fanden sie meinen Opa wieder. Sie wurden ins Rheinland umgesiedelt, wo meine Großeltern bis zu ihrem Lebensende lebten, und meine Mutter meinen Vater kennenlernte.

Aber zurück zu meiner Oma. Sie war meine Brücke in verschiedene Zeiten der Geschichte. Niemand konnte so bildliche, schauerliche, aber auch so unglaublich witzige und absurde Geschichten aus dem Krieg erzählen wie meine Oma. Das einzige, wo sie keinerlei Spaß verstand, war beim Thema DDR. Weil sie als einzige ihrer Familie geflohen war, gab es also noch einen ganzen Familienzweig, der "im anderen Deutschland" lebte. (Geteiltes Land, geteilte Familie) Meine Oma schickte IMMER Pakete (dass sie in der DDR Westpakete hießen und wie viel sie für einen Ostler wert waren, das hab ich erst viel später erfahren), hielt meine Mutter IMMER an, Pakete zu schicken, die für mich irgendwie nie besonders wirkten. Kaffee, Schokolade und Klamotten, aus denen meine Schwester und ich herausgewachsen waren. Zurück kamen stets ellenlange Briefe und so überschwenglicher Dank, der mich immer wieder erstaunte. Einmal kam dann sogar ein Ostpaket*. Darin sehr, sehr osteuropäisches Briefpapier (mit Marienkäfern) und zwei Ostsandmännchen, (Weiß gar nicht, wo die hin sind?) die vielviel schöner waren als das sonderbare Sandmännchen aus dem Westfernsehen. Ich weiß noch, dass meine Schwester das Briefpapier nicht benutzen wollte. Es war nicht richtig weiß und irgendwie ... Ach, keine Ahnung. Ich habe es gemocht und auch ihres dann verschrieben.
Meine Oma jedenfalls hat sich immer haarklein aufgeschrieben, was sie in die Pakete reingetan hat - und immer eine Liste zurückbekommen mit dem, was angekommen ist. Und das war immer, ich wiederhole: immer ein Thema: Was es nicht bis zur Verwandtschaft geschafft hat. Und bei diesem Thema hat meine Oma, die sonst immer irgendwo einen Witz gefunden und gemacht hat, nichts als harte Worte gefunden und geschimpft. An einmal erinnere ich mich ganz besonders (Kaffee, Schokolade etc. war meist zum Teil weg, irgendwie wurden die Zollbeamten wohl gleich mit bestückt...). Da hatte sie ein Poster von gelben Hühnerküken beigelegt, das aus einem Mediziniheft aus der Apotheke gestammt hatte. Auf der Rückseite war ein Kalender gewesen mit Namens- und Feiertagen. Und meine Oma hat sich langelange darüber ausgelassen, was an so einem harmlosen Poster als regimekritisch verstanden werden konnte etc.pp. - bis meine Mutter schlussendlich meinte, vielleicht habe es ja nur einem der Zollbeamten gefallen...

Und dann kam der Sommer 1989. Meine Oma hatte schon lange einmal zurück in ihre ganz alte Heimat, nach Ostpreußen, zurückgewollt. Im Sommer 1989 haben ihr Cousin und sie Durchreisegenehmigungen eingeholt, weil sie auf dem Weg nach Ostpreußen gleich noch die Verwandtschaft in der DDR besuchen wollten. Und dann ist der Wagen irgendwo zwischen Harz und Berlin** 50 km vor ihrem Heimatort verunglückt und meine Oma umgekommen. Bevor sie ihre alte Heimat erreicht hat. Und so kurz bevor die Mauer fiel. Und dabei glaube ich, dass sie auf kaum etwas mehr gehofft hatte, als auf ein einziges Deutschland.

Vielleicht bin ich deshalb heute so sentimental. Vielleicht. Bewegende und bewegte Stadt, Berlin.

*von der Bloggerin im Nachhinein und in Anlehnung erfundene, aber nie zuvor von ihr genutzte Bezeichnung

** nachträgliche Berichtigung

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Last modified: 2018-01-16 19:31
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